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Winteraquarelle step by step

Blick vom Hohen Graben zur Stadtmauer und Jacobikirche, Mühlhausen

Zunächst suche ich mir ein Motiv - es muss mich ansprechen und spontan fesseln, mir richtig Lust auf`s Malen machen. 

Entweder geschieht dies pleinair, oder nach einem - am liebsten eigenen - Foto. Ich kann nur das malen, was ich selbst erlebt und gesehen habe. 

Am Foto sind für mich folgende Dinge wichtig: Weg in und durch das Bild (wie kann ich den Blick des Betrachters durch das Bild führen?), ein Schwerpunkt, ein Bildeintritt, mehrere Kontraste wie hell-dunkel, groß-klein, scharf-unscharf, ausgewogene Verteilung von Dunkelheit und Helligkeit, Reihung und Ballung usw. Ein vorgegebener Farbkontrast ist für mich nicht wichtig, am liebsten arbeite ich nach monochromen oder sw-Fotografien. So bin ich farblich nicht eingeengt und kann jede Stimmung erzeugen, die mir vorschwebt. 

Die Idee hier war, die Stadtsilhouette mit der Stadtmauer und der Jacobikirche in den Hintergrund zu legen und danach die Bäume und den schneebedeckten Weg darauf zu setzen bzw. auszusparen. 

Beim Anlegen der winterlichen Dächerlandschaft war für mich der dunklere Bildeintritt am linken Bildrand wichtig sowie ein komplementärer Farbklang von Rosa-Orange- bis zu verschiedenen Blautönen. Neutralere Grau- und Brauntöne lassen das Ganze nicht zu knallig werden. Die schneebedeckten Dächer sparte ich aus. Je mehr Flächen ich zu Beginn weiß ausspare, umso mehr Gestaltungsmöglichkeiten habe ich im Verlauf der Bildgestaltung. Nach der Trocknung des ersten Farbauftrages können hier und da schon farbliche Vertiefungen, Kontraste sowie Details gesetzt werden.

Nun nimmt das Aquarell Fahrt auf: der für mich beglückende und spannende Teil beginnt: das Gestalten der Bäume. Diese setzte ich mit verschiedenen Pinseln sehr satt und in verschiedenen Blautönen ohne größeres Nachdenken vor die Stadtsilhouette. Den Weg sparte ich weiß aus, ebenso den schneebedeckten Weg unten vor der Stadtmauer. Sofort legte ich aus den nassen Flächen der Bäume mit einem feinen Pinsel (Linierer) die feinen Verästelungen der winterlichen, unbelaubten Bäume an und achtete auf eine farbliche Differenzierung, indem ich sofort weitere Farben in die Stämme und v.a. in die Stellen, wo sich die Äste weiter verzweigen, hineinlaufen ließ.  Auch die Schatten der Bäume wurden locker in diesem Stadium angelegt. Die hintere Wegkante wurde mit einem Schattenton hinterlegt, denn dahinter geht es bergab.

 

Nach gründlicher Trocknung (über Nacht) ging es an die letzten Detail- und Finish-Arbeiten. Zunächst wurde die Kirche als absoluter Fokus durch dunkle Hinterlegung stärker herausgeholt und die Türme durch leuchtendes Lasurorange und einige Details betont. Das dunkle Haus im linken Bildbereich sowie einige Häuser im Hintergrund bekommen noch Schatten, Abgrenzungen und weitere Details - aber vorsichtig. Die Bäume wurden mit einen Linierer und verschiedenen Aquarellstiften weiter ausgearbeitet, wobei ich die bereits verwendeten Farben eingesetzt habe, Teilweise habe ich Ästchen mit weißer Gouache konturiert, wo die Farbe vorher zu stark ausgelaufen war. Der Himmel erhielt noch einen letzten stark lasierenden Farbauftrag von Orange bis Blau, dabei wurde das linke Haus negativ ausgespart. Fertig!

Marktstraße mit Blick zur Felchtaer Straße, Mühlhausen

Die Fotovorlage zu diesem Bild ist am 3. Adventssonntag auf dem Weg zum Mühlhäuser Kunst- und Adventsmarkt aus einer erwartungsvollen Stimmung heraus entstanden. Alljährlich freue ich mich auf den Kunstmarkt im "Haus der Kirche", der traditionell am

3. Adventswochenende stattfindet.

So oft schon bin ich an diesem wunderbaren und etwas schiefen Fachwerkhaus vorbeigegangen und habe mir vorgenommen, es zu malen. 

Die beiden hohen Häuser rechts und links der Gasse habe ich als Bildeintritt mit fotografiert, das Fachwerkhaus steht im Bildschwerpunkt. Dieses wird später als Fokus und Eye-Catcher herausgearbeitet, während die anderen Häuser sowie die im Hintergrund liegende Felchtaer Straße durch große und wenig detailreiche Flächen das Bild beruhigen sollen. 

Die Gasse führt den Blick des Betrachters ins Bild. 

Auch die beiden Fußgänger mit ihrem Hündchen, die durch das Schneegestöber eilig nach Hause oder auf den nahen Weihnachtsmarkt wollen, schaffen einen weiteren Blickpunkt. 

Eigentlich vermeide ich es ja, Menschen ins Bild zu setzen, aber hier passen sie.

Diese Fotofolge zeigt die ersten Schritte der Bildentstehung. Nach einer orientierenden Vorzeichnung, die nur den Grundaufbau und die Anordnung der Gebäude festlegen sollte, begann ich mit dem ersten Farbauftrag der Gebäude. Dafür wählte ich z.T. stark granulierende Farben, die dem Charakter der alten Hauswände gerecht werden sollen. Das Fachwerkhaus legte ich mit verschiedenen Blau-, Grau- und Brauntönen sowie Moorlauge bereits feingliedrig und sehr grafisch an, mir schwebte ein Wechselspiel aus positiv und negativ dargestelltem Fachwerk vor. Auch die Verteilung der Helligkeiten und Dunkelheiten erfolgte in diesem Schritt. Die Häuser der gegenüberliegenden Straße sind für die Bildaussage nicht wichtig und dürfen nicht die Oberhand gewinnen. Diese deutete ich mit sehr wässrigen Lasuren aus Grau, Lichter Ocker natur sowie Rosa an, einschließlich der Fenster und verzichtete hier auf unnötige Details.

Die großen monochromen Farbflächen der Häuser am rechten und linken Bildrand wurden nach erster Trocknung differenziert, wiederum mit lasierenden Farben und zunehmender Sättigung, um hier stärkere Dunkelheiten zu setzen und dem Bild einen hell-dunkel-Rhythmus zu geben. Das Fachwerk erhielt eine erste differenziertere Ausarbeitung - mal negativ, mal positiv, hier blieb ich in den bereits bei der Erstanlage verwendeten Farben. Auch die Gasse wurde angelegt von dunkel nach hell und wieder in die stärkere Dunkelheit zwischen den beiden Häusern am Ende der Gasse. Nun war Trocknen über Nacht angesagt. 

Für die abschließenden Arbeitsschritte und Detailarbeiten nahm ich mir relativ viel Zeit und schaute mir das Bild immer wieder genau an, auch mit Abstand. 

Neben einer weiteren Ausarbeitung des Fachwerkhauses mit Fenstern und stärker betonten Details gab ich den anderen Häusern weitere Lasuren, um das Alte und Verwitterte der Hauswände anzudeuten. Gerade alte Gebäude benötigen viele Lasuren und Texturen, um diesen Charakter dazustellen. 

Es galt auch, die Flächen farblich zusammenzuführen und Farben im Bild in unterschiedlicher Sättigung wiederkehren zu lassen. Hier bezog ich auch den Himmel ein, der mehrere Lasuren erhielt. Die Gasse wurde weiter ausgearbeitet, die Pflastersteine stellenweise angedeutet und die Schatten in der Gasse sowie zwischen den Gebäuden verstärkt. 

Dazu kamen die bereits verwendeten Aquarellfarben sowie einige Aquarellstifte zum Einsatz.

Mit einigem Herzklopfen - dilettantisch gesetzte Menschen können ein Bild schnell ruinieren - setzte ich zügig die beiden Fußgänger und das Hündchen an das Ende der Gasse, dicht neben das Fachwerkhaus, um den Bildschwerpunkt hier zu verstärken. 

Abschließend habe ich mit weißer Gouache noch einige wichtige Kanten betont und den leichten Schneefall angedeutet. 

FAZIT und Schlussbetrachtung

Die Arbeit an diesem beiden Bildern hat mir viel Spaß gemacht und die Lust geweckt auf viele weitere Stadtmotive. Ich bin mit beiden Bildern sehr zufrieden. Sicherlich - perfekt wird es nie! Der österreichische Maler VOKA hat einmal in einem seiner Bücher sinngemäß geschrieben: "Ich bin immer auf der Suche nach dem perfekten Bild und hoffe doch, es nie zu finden, da ich die Suche danach so sehr liebe!"

Die Bildaussage im ersten Bild war die mystische Stimmung und die Betonung der Kälte und der Schatten durch die blau angelegte, fein verästelten Bäume. Im zweiten Bild wollte ich das schöne Fachwerkhaus in den Fokus stellen, aber auch hier die frostig-winterliche Atmosphäre betonen. 

Kompositorisch gefällt mir im Aquarell der Stadtmauer das "Dreibein" im linken Bildbereich überhaupt nicht, aber so etwas passiert beim spontanen Arbeiten. Mit diesen Fehlern muss man im Aquarell leben, man kann sie nur noch bedingt korrigieren. Sicherlich, ich  hätte die Dächer dahinter weiter betonen und versuchen können, die störenden Bäume auszuwaschen. Möglicherweise wäre dadurch aber das Spontane der Bildgestaltung verloren gegangen. 

 

Bildmaße:

Hoher Graben mit Blick zur Jacobikirche: 76 x 56 cm (ganzer Bogen)

Ratsstraße: 38 x 56 cm (halber Bogen)

 

Verwendete Materialien: 

Hahnemühle Leonardo Aquarellkarton, 600 g/qm - satiniert (1. Bild) und feinkorn (2. Bild)

Aquarellfarben der Marken Schmincke Horadam, Sennelier, Ferrario und Daniel Smith, Aquarellstifte Albrecht Dürer von Faber Castell, weiße Tusche von Rohrer & Klingner, weiße Gouache von Lascaux, Moorlauge, eigene Farbmischungen (Rosa, Neapelgelb mit Weiß)

Verschiedene Rundpinsel und Mantellinierer der Firma Springer, Flachpinsel von da Vinci (Serie 5030)

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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan Krümpelmann (Montag, 07 Januar 2019 17:58)

    Danke Kirstin für deine tollen Erläuterungen. Gerade deine Hinweise zum Bildaufbau finde ich sehr hilfreich (für mich).